1.4. Über den Appetit
Die Natur meint es zum Glück gut mit uns. Fressen, so viel man bekommen kann, ist nämlich nicht das Erfolgsrezept der Evolution.
Der Mensch verfügt, wie jedes andere Lebewesen auch, über ein perfekt funktionierendes System zur Steuerung der Energieaufnahme – den Appetit. Doch dieser leistet sogar noch viel mehr. Denn Nahrung ist nicht nur Energie – wenn dem so wäre, könnten wir uns auch ausschließlich von Zucker ernähren. Deshalb verspürt man auch nicht immer auf das Gleiche Appetit, sondern immer auf das, was der Körper gerade braucht.
Dieses System ist bei allen Menschen vorhanden, seltene Krankheiten einmal außen vor gelassen. Und es funktioniert besser, als wir denken. In den 20er Jahren des letzten Jahrhunderts machte die amerikanische Ärztin Clara Davis ein Experiment im Mount-Sinai-Krankenhaus in Cleveland.
Drei Jungen im Alter zwischen sechs und neun Monaten konnten sich ihre Nahrung direkt nach dem Abstillen selbst aussuchen. Es gab verschiedene Nahrungsmittelsorten wie Fleisch, Gemüse, Obst, Milchprodukte. Alles wurde roh bzw. in Dampf gegart und grob zerkleinert serviert. Gewürze kamen dabei nicht zum Einsatz. Es gab keinen Zucker, keine Süßigkeiten und keine verarbeiteten Produkte wie Wurst, Käse oder Brot. Die Jungen durften unter allem frei wählen. Zu Beginn gab es eine zweiwöchige Testphase, in der die Kinder alles probieren konnten und auch teilweise wieder ausspuckten. Das Experiment lief über sechs Monate. Es zeigte sich, dass jeder der Jungen andere Speisen bevorzugte, wobei sich alle sehr gut entwickelten.
Das heißt, bereits in diesem Alter konnten alle drei Kinder perfekt entscheiden, was momentan gut für sie ist. Ganz ohne Ernährungsberater und Kalorientabelle. Die Kinder waren kräftig, aber nicht übergewichtig. Clara Davis beschrieb sie als „lachende, aktive, glückliche Kinder, voller Pep“.
Sie wiederholte den Test mit fünfzehn Kindern über einen Zeitraum von sechs Jahren. Die Ergebnisse waren übereinstimmend mit denen des ersten Versuchs. Es zeigte sich sogar Erstaunliches: Ein Junge mit Rachitis griff zu Lebertran. Genau so lange, bis die Krankheit überstanden war. Er tat das ganz von sich aus. Ein anderes Kind griff bevorzugt zu sauren Speisen. Man stellte fest, dass es generell eine geringere Menge Magensäure produzierte. Dies glich es durch entsprechende Nahrungswahl völlig unbewusst und automatisch wieder aus.
Diese Studien beweisen, dass der Appetit beim Menschen grundsätzlich wunderbar funktioniert. Nur bei einem immer größer werdenden Teil der Bevölkerung scheint das augenscheinlich nicht mehr zu klappen.
Im Juni 2004 erschien in dem Ärztemagazin JAMA (Zeitschrift der amerikanischen medizinischen Vereinigung) eine Studie. Nach dieser macht Fastfood besonders dicke Jugendliche noch dicker, schlanke dagegen nicht. Teenager durften so viel Fastfood essen, wie sie wollten. Dabei aßen zwar alle viel zu viel, aber die bereits dicken Jugendlichen deutlich mehr. Ein folgender Studienteil zeigte, dass die Normalgewichtigen die Völlerei sehr schnell ausglichen. Wenn diese an einem Tag zu viel Kalorien über Fastfood zu sich genommen hatten, hielten sie sich am Rest des Tages zurück und aßen deshalb insgesamt nicht zu viel. Die übergewichtigen Jugendlichen hingegen zeigten dieses Verhalten nicht. Sie hatten an den Fastfood-Tagen im Schnitt 400 Kalorien zu viel zu sich genommen.
Das zeigt, dass bei diesen übergewichtigen Jugendlichen die Appetitregulierung nicht mehr richtig funktioniert. Bei schlanken aber schon. Es scheint also, dass der Verlust dieser Steuerung bei der Nahrungsaufnahme zu Übergewicht führt.
Quellen Experimente Clara Davis:
1. Davis, Clara M.: Self Selection of Diet by newly weaned Infants. An experimental Study, in: American Journal of Diseases of Children vol. 36, Nr. 4/Oktober 1928, S. 651–679
2. Davis, Clara M.: Can babies choose their food?, in: The Parents' Magazine 1/1930, S. 22–23, 42–43
3. Davis, Clara M.: Results of the self-selection of diets by young children, in: The Canadian Medical Association Journal 41/September 1939, S. 257–261
1. Davis, Clara M.: Self Selection of Diet by newly weaned Infants. An experimental Study, in: American Journal of Diseases of Children vol. 36, Nr. 4/Oktober 1928, S. 651–679
2. Davis, Clara M.: Can babies choose their food?, in: The Parents' Magazine 1/1930, S. 22–23, 42–43
3. Davis, Clara M.: Results of the self-selection of diets by young children, in: The Canadian Medical Association Journal 41/September 1939, S. 257–261
Dieser Text ist aus der ersten Auflage des Buches "Leben ohne Diät" aus dem Jahr 2005.
Die 2. Auflage wurde grundlegend überarbeitet und enthält 30% mehr.
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